VERSTEHENBERATENBEGLEITEN

 
Die sensible Phase der Vertragsanbahnung - LoI und MoU

Im Zusammenhang mit der Anbahnung eines Vertragsverhältnisses werden häufig Vereinbarungen wie "Letter of Intent", "Memorandum of Understanding" oder "Agreement on Principles" abgeschlossen. "Worin besteht der Unterschied zwischen diesen Vertragsarten?", "Wozu sind solche Regelungen notwendig?", "Was muss darin geregelt werden?" oder "Sind solche Vereinbarungen bindend?". Andreas Dömkes und Markus Schaller, Rechtsanwälte der adjuga Rechtsanwaltsgesellschaft mbH, beschreiben die Notwendigkeit der Achtsamkeit bei der Vertragsanbahnung.

Gemein ist den genannten Vereinbarungen, dass ihre rechtlichen Implikationen nicht von der jeweiligen Überschrift abhängen. Vielmehr kommt es auf ihren tatsächlichen Regelungsinhalt an, also darauf, welche konkreten Regelungen unter der Überschrift getroffen sind. Dabei werden die Bezeichnungen Letter of Intent ("LoI" oder Deutsch: Absichtserklärung), Memorandum of Understanding ("MoU") oder Agreement on Principles ("AoP") für im Wesentlichen ähnliche Regelungsgegenstände verwendet. Nachfolgend wird der Einfachheit halber nur noch vom LoI gesprochen.

Checkliste für den beabsichtigten Vertrag
Ein LoI sollte zunächst einen Teil enthalten, der Inhalt und Umfang des beabsichtigten Vertrages skizziert. Die Parteien benennen in kurzen Umrissen oder in Form von Stichpunkten diejenigen Themen, die sie im späteren Vertrag geregelt wissen wollen. Hierin liegt oft ein erster und nützlicher Test, ob die Parteien die gleichen Vorstellungen haben. So können grobe Missverständnisse bereits im Vorfeld vermieden bzw. ausgeräumt werden. Dieser Teil eines LoI sollte in aller Regel unverbindlich formuliert werden, da sich die Parteien zu diesem frühen Zeitpunkt noch nicht auf endgültige Regelungen des späteren Vertrages festlegen und verpflichten können.

Dokumentation zur internen Entscheidungsfindung
Insbesondere bei strategisch bedeutsamen Vertragsprojekten kann ein LoI auch die Funktion einer internen Dokumentation für die Parteien erfüllen. Er kann den entscheidenden Gremien, wie Geschäftsführung oder Vorstand bzw. Beirat oder Aufsichtsrat zur Entscheidung darüber vorgelegt werden, ob der Vertrag mit den im LoI niedergelegten Eckpunkten (weiter-)verhandelt werden soll. In diesem Zusammenhang wird oft auch ein so genannter Gremienvorbehalt aufgenommen, der den Abschluss des beabsichtigten Vertrages von der Zustimmung des jeweiligen Aufsichtsgremiums oder auch einer anderen Bedingung, z. B. einer kartellrechtlichen Genehmigung, abhängig macht.

Regelung der Beendigungsfolgen
Die wohl wichtigste Funktion eines LoI liegt jedoch darin, die Parteien vor Schaden im Falle des Scheiterns der Verhandlungen zu bewahren.
Mit dem Abschluss des endgültigen Vertrages legen die Parteien die für ihre Zusammenarbeit geltenden "Spielregeln" verbindlich fest. Darauf, dass es zum beabsichtigten Vertragsschluss kommt, kann sich während der Phase der Vertragsanbahnung allerdings keine der Parteien verlassen. Bis zur Einigung über den letzten, vermeintlich noch so nebensächlichen Aspekt und dessen verbindlicher Festlegung im Vertrag besteht die Möglichkeit, dass die Parteien ohne jede Regelung auseinander gehen.

Eine solche unerwartete Beendigung der Vertragsverhandlungen kann die Interessen der Parteien empfindlich berühren. Dies gilt insbesondere dann, wenn sich die Vertragsanbahnung bereits auf ihre rechtlichen, wirtschaftlichen oder sonstigen Verhältnisse ausgewirkt hat. Nicht selten ergreifen die Parteien in Erwartung eines späteren Vertragsschlusses Maßnahmen, die sich bei Nichtzustandekommen des Vertrages als Beeinträchtigung ihrer Interessen darstellen. Ein LoI bietet den Vertragspartnern die Möglichkeit, sich gemeinsam darüber klar zu werden, welches wechselseitige "Frustrationspotential" in der Vertragsverhandlung liegt und ob eine vorvertragliche Regelung zur Sicherung der eigenen Interessen nützlich oder gar notwendig ist.

 

Ist beispielsweise abzusehen, dass ein Lieferant in der Erwartung des Abschlusses eines Liefervertrages Rohstoffe einzukaufen hat, so empfiehlt sich eine Regelung darüber, ob und gegebenenfalls in welcher Höhe er dieses Risiko selbst tragen soll und welchen Teil der Vertragspartner übernimmt. Es sollte klargestellt werden, dass alle darüber hinausgehenden oder anderen Maßnahmen auf das Risiko des jeweils Handelnden gehen. So wissen die Parteien, mit welchen Rechtsfolgen sie bei einem Scheitern der Vertragsverhandlungen zu rechnen haben.
Denkbar sind weitere kritische Konstellationen. Beispiele: Eine Vertragspartei richtet in Erwartung des Vertragsschlusses ihre Kapazitäten auf das beabsichtigte Lieferverhältnis aus oder lässt andere sich bietende Geschäftschancen aus.

Die Auseinandersetzung der Parteien mit den angesprochenen Risiken und deren Regelung hat den vorteilhaften Nebeneffekt, dass sich die Parteien bereits in einem frühen Stadium der Beziehung besser in Acht nehmen werden. Insbesondere können mit einer solchen Regelung langwierige Auseinandersetzungen über eventuelle Kosten- oder Schadensersatzansprüche vermieden werden. Gemäß § 280 Abs. 1 Satz 1 BGB in Verbindung mit § 311 Abs. 2 Nr. 2 und 3 BGB können solche im Falle einer fehlgeschlagenen Vertragsverhandlung durchaus entstehen.
Die Regelung der Beendigungsfolgen sollte innerhalb des LoI unbedingt verbindlich erfolgen.

Vertraulichkeitsvereinbarung
Eine weitere wichtige Dimension der Anbahnung eines Vertragsverhältnisses liegt darin, dass die Parteien oft bereits sensible kaufmännische Daten, technisches Wissen oder strategische Zielsetzungen austauschen. Diese müssen vor einer Weitergabe an Dritte und einer sonstigen unerwünschten Verwendung geschützt werden. Dazu sollte ein LoI eine Geheimhaltungsvereinbarung (auch Non-Disclosure Agreement oder NDA genannt) enthalten, in der sich die jeweils andere Partei zur Geheimhaltung und zum Schutz der übergebenen Informationen verpflichtet. Je nach Komplexität der beabsichtigten Zusammenarbeit, ihrer Sensibilität, dem Umfang und der Bedeutung der auszutauschenden Informationen erfordert eine Geheimhaltungsvereinbarung einen hohen Detaillierungsgrad. Mitunter werden wegen des notwendigen Umfangs separate Vereinbarungen abgeschlossen. Wichtig ist in jedem Falle eine rechtzeitige Regelung im Zusammenhang mit dem LoI, da die Aufgabenstellung der Geheimhaltung unmittelbar mit der Aufnahme der Vertragsverhandlung verknüpft ist.

Fazit
Die mit einer ungeregelten Vertragsverhandlung verbundenen Risiken werden häufig unterschätzt. Das Scheitern der Vertragsverhandlung kann, insbesondere wenn die Parteien lange auf die "Karte Vertragsschluss" gesetzt und viel in die Verhandlung und die beabsichtigte Zusammenarbeit investiert haben, schmerzlich und teuer sein. Der Abschluss eines LoI mit den oben genannten Eckpunkten hilft - auch wenn (oder gerade weil) er sich wesentlich mit dem möglichen Scheitern einer Vertragsverhandlung befasst - deren Erfolg zu herbeizuführen.

Andreas Dömkes, Markus Schaller
adjuga Rechtsanwaltsgesellschaft mbH
Erschienen in Business & Law Rhein-Neckar, 2008

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