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BREXIT – Keep Calm and Carry On?

Der Weg des Vereinigten Königreiches in die Europäische Wirtschaftsgemeinschaft (EWG), die Vorgängerorganisation der Europäischen Union (EU), war steinig: Charles de Gaulle hat mit dem sturen französischen Veto zwei Mal den Beitritt verhindert; erst nach dem Tod des konservativen Staatsmannes konnte die aus den Landesteilen England, Wales, Schottland und Nordirland bestehende Union im Jahr 1973 in die EWG aufgenommen werden. Allerdings schon zwei Jahre danach gab es auf der Insel die erste Volksabstimmung über den Verbleib in der EWG. Je und je haderten herausragende britische Politiker mit der Mitgliedschaft in den europäischen Vereinigungen und vor wenigen Monaten haben die Befürworter eines EU-Austrittes des Vereinigten Königreiches eine Mehrheit gefunden. Im Jahr 2017 sollen die Verhandlungen über den Austritt beginnen und bis 2019 abgeschlossen sein.

Welche Ergebnisse die Austrittsverhandlungen mit sich bringen werden, ist heute noch nicht absehbar. Dies gilt auch für Änderungen im Bereich des Wirtschaftsrechtes zwischen den Staaten der EU und dem Vereinigten Königreich.

Blickt man allerdings auf einige wirtschaftsrechtliche Regelungsbereiche, wird sofort deutlich, wo es höchstwahrscheinlich Änderungen geben wird. Wie folgende Beispiele zeigen, kann es sinnvoll sein, schon jetzt z. B. bei der Vertragsgestaltung Vorkehrungen zu treffen.

Hat beispielsweise ein Hersteller vor zehn Jahren einen Agenten mit dem Produktvertrieb "in der europäischen Gemeinschaft" beauftragt, so stellt sich den Vertragspartnern nach dem BREXIT die Frage, ob der Agent weiterhin für das Gebiet des Vereinigten Königreiches zuständig sein soll. Der Vertrag wird insoweit auslegungsfähig sein. Das Ergebnis der Auslegung wird von vielen Faktoren beeinflusst. Möglicherweise steht einem Vertragspartner nach den Rechtsgrundsätzen des Wegfalls der Geschäftsgrundlage ein Anpassungsanspruch zu. Erfahrungsgemäß wird eine eindeutige rechtliche Vertragsauslegung nicht immer erreicht werden können, der BREXIT führt damit zu einer unsicheren Rechtslage zwischen den Parteien. Partner solcher Verträge sollten sich überlegen, ob sie zur Klarstellung und zur Planung eines reibungslosen Weitervertriebs der Produkte ihren Vertrag anpassen oder sich zumindest rechtzeitig über eine gemeinsame Auslegung verständigen. Würde heute ein solcher Vertrag geschlossen, wäre der künftige BREXIT bereits bekannt. Dieser Umstand würde bei der Auslegung eines Vertrages zwar auch berücksichtigt werden, allerdings ist es aus Gründen der Sicherheit und Vorhersehbarkeit stets ratsam, dass sich Vertragspartner nicht auf Auslegung eines Vertrages verlassen. Auch wenn heute ein Vertrag geschlossen wird, muss somit der BREXIT in die Überlegungen und Vertragsgestaltung einbezogen werden.

Den BREXIT bei Vertragsgestaltungen schon heute zu bedenken ist anzuraten, obwohl das Ergebnis des BREXIT noch nicht bekannt ist. Denn es steht den Parteien eines Vertrages frei, für einzelne Szenarien im Vertrag schon beim Abschluss Alternativregelungen vorzusehen.

So wäre es z. B. denkbar, dass in einem Vertrag über Datenhosting in England ein außerordentliches Kündigungsrecht vorgesehen wird, sollte der BREXIT zu einer Situation führen, dass der Datenschutz auf der Insel nicht mehr dem europäischen Standard entspricht und der Vertrag nicht weiter umgesetzt werden darf.

Sehr schwierig kann die Situation werden für Gesellschaften nach englischem Recht, insbesondere in der Rechtsform der Private Limited Company by Shares (häufig kurz als Ltd. bezeichnet). Diese können heute aufgrund der Freizügigkeit in der EU beliebig in andere Mitgliedsstaaten umziehen. Fällt die Freizügigkeit durch den BREXIT weg, stellt sich die Frage, welchem Recht und Statut die Gesellschaften künftig unterstehen. Je nach dem Ergebnis der BREXIT-Verhandlungen kann dies erhebliche rechtliche, insbesondere auch steuerrechtliche Konsequenzen haben. Solche Gesellschaften werden sich daher mit den Folgen des BREXIT verschärft auseinander setzen müssen.

Wurde bislang bei internationalen Geschäften das englische Recht zu Grunde gelegt, so war das geltende EU-Recht in England ebenfalls anwendbar (z. B. im Daten- oder Verbraucherschutz). Nach dem BREXIT wird das nicht mehr der Fall sein, das europäische Recht wird dann nicht mehr zur Rechtsgrundlage solcher Verträge. Ob das gut oder schlecht ist, vermag noch niemand zu sagen, es handelt sich auch um eine Frage der Perspektive. Und gerade deshalb müssen die Vertragspartner bei der Verhandlung nun sorgfältig abwägen, ob die Wahl des englischen Rechtes tatsächlich allen Bedürfnissen der Parteien entspricht, oder die Wahl des Rechtes eines EU-Mitgliedstaates mehr Vorteile bietet.

Die Bereiche, in welchen die Geltung europäischen Rechts Einfluss auf die Geschäftsbeziehungen hat, sind mannigfaltig. Erwähnt seien insoweit nur das Markenrecht, das Datenschutzrecht, das Pharmarecht, das Produkthaftungsrecht, Zollrecht, Umweltschutzrecht oder das Recht der öffentlichen Ausschreibungen.

Der BREXIT ist sicherlich ein Ereignis, das zu einigen Änderungen im wirtschaftsrechtlichen Bereich führen wird. Auch wenn es keinen Grund für überstürzte Prüfungen aller Verträge eines Unternehmens gibt, dürfte das alte aber immer noch populäre Keep Calm and Carry On - Motto der britischen Regierung nicht der richtige Leitfaden sein. Individuelle Prüfung und Anpassung bestehender Verträge im Einzelfall oder die Aufnahme von BREXIT-Klauseln in neue Verträge sind sicherlich der bessere Weg, um etwaige Risiken und rechtliche Nachteile des BREXIT vernünftig abzufedern.

Dr. Markus Ackermann

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