VERSTEHENBERATENBEGLEITEN

 
Der Anspruch auf Kulanz

Der Wert einer Geschäftsbeziehung geht für Kaufleute häufig über den Wert eines einzelnen Geschäftes hinaus. Für einen Verkäufer hat die Dauerhaftigkeit einer Geschäftsbeziehung ebenso einen eigenen Wert wie die Chance, von einem zufriedenen Kunden weiter empfohlen zu werden.

Deshalb ist es nicht selten der Fall, dass ein Verkäufer in Erwartung von Folgegeschäften oder mit Blick auf seine Marktreputation Leistungen erbringt, die nicht aus einem einzelnen Vertrag geschuldet werden. So bieten beispielsweise große Warenhäuser ihren Kunden häufig ein "Umtauschrecht bei Nichtgefallen" an, obwohl sie dazu nicht verpflichtet sind und die Kunden im Warenhaus die Waren begutachten können. Vor allem Verkäufer von Investitionsgütern bieten häufig kleinere Zusatzleistungen oder Gefälligkeiten kostenlos an, um Käufer zu Folgegeschäften anzuregen.

Solche Leistungen werden vielfach als Kulanzleistungen bezeichnet. Aus Sicht des Leistenden sollen sie freiwillig sein und er möchte in der Regel, dass der Kunde keinen Anspruch erwirbt, solche Leistungen in der Zukunft erneut zu erhalten. Hierbei ist jedoch Vorsicht geboten: Gerade in langlaufenden Geschäftsbeziehungen können mehrfache Kulanzleistungen zu einer Erwartung des Kunden dahingehend führen, dass diese Leistungen auch künftig kostenlos erbracht werden. Diese Erwartungshaltung des Kunden kann rechtliche Bedeutung haben. Die Kulanzleistung ist häufig auch eine Vorleistung, die dem Erhalt einer Geschäftsbeziehung dient. Der Kaufmann hat daher zumindest ein wirtschaftliches Interesse, was ein Indiz für seinen Bindungswillen darstellen kann. Daraus kann folgen, dass das Vertrauen auf Seiten des Kulanzempfängers rechtlich geschützt ist und somit ein Rechtsanspruch auf derartige Leistungen besteht.

Der Umstand, dass über einen längeren Zeitraum immer wieder Kulanzleistungen erbracht werden, kann sogar dann eine solche berechtigte Erwartung hervorrufen, wenn der Kulanzleistende je und je darauf hinweist, dass die Leistungen freiwillig erfolgen. Der Kulanzempfänger darf die Situation unter Umständen trotz des "verbalen Protestes" so verstehen, dass die Fortsetzung der Geschäftsbeziehung dem Kulanzleistenden wichtiger ist als ein geringfügiger Vermögensvorteil, auf den er dadurch verzichtet, dass er sich die Kulanzleistung nicht bezahlen lässt. Dies spricht für den rechtlichen Schutz der Erwartung des Leistungsempfängers.

Ob eine zwischen den Parteien etablierte Kulanzübung zu einem Anspruch auf weitere kostenlose Leistungen führt, kann nur anhand vielfältiger Kriterien beurteilt werden. Je häufiger und je länger kostenlose Mehrleistungen erfolgen, desto eher darf ein Leistungsempfänger darauf vertrauen, dass die Übung beibehalten wird. Auch der Wert der Leistungen kann bei der rechtlichen Beurteilung, ob eine Leistung tatsächlich rein freiwillig oder schon auf Grundlage einer verpflichtenden geschäftlichen Übung erfolgt, eine Rolle spielen.

Die Rechtsfolgen einer rechtlich bindenden Übung sind mannigfaltig: Sie kann dazu führen, dass bestimmte Leistungen künftig weiterhin kostenlos erbracht werden müssen, sie kann eine Haftung auslösen und als Verzicht auf Ansprüche des Kulanzleistenden betrachtet werden. Auch wenn es einen "Anspruch auf Kulanz" im Grundsatz nicht gibt, ist im Zusammenhang mit freiwilligen Leistungen aus Sicht des Kaufmanns darauf zu achten, dass keine berechtigte Erwartung des Leistungsempfängers entsteht.

Dr. Markus Ackermann

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