Es existiert keine gesetzliche Definition des Begriffs "höhere Gewalt", obwohl er in verschiedenen gesetzlichen Bestimmungen verwendet wird. Die höchstrichterliche Rechtsprechung geht von einem Ereignis höherer Gewalt dann aus, wenn dieses "von außen kommt, nicht voraussehbar ist und auch durch äußerste vernünftigerweise zu erwartende Sorgfalt nicht abwendbar ist". Nur sehr seltene Vorkommnisse erfüllen diese engen Voraussetzungen. Bereits das geringste Verschulden einer Partei schließt höhere Gewalt aus. Das Ereignis darf zudem keiner Risikosphäre einer Partei zuzuordnen sein. Typischer Anwendungsfall für Ereignisse höherer Gewalt sind Naturkatastrophen wie Erdbeben oder Vulkanausbrüche. Am Beispiel einer Überschwemmung wird aber deutlich, dass nicht jede Unbill der Natur in die Kategorie fällt: Tritt die Überschwemmung in regelmäßigen Abständen in einem hochwassergefährdeten Gebiet auf, kann es durchaus möglich und zumutbar sein, durch geeignete Maßnahmen Abhilfe zu schaffen. Dann liegt kein Fall höherer Gewalt vor.
Falls eine Partei wegen höherer Gewalt an der Erfüllung ihrer Vertragspflichten gehindert ist, scheidet eine Haftung, beispielsweise auf Schadensersatz, in der Regel aus. Wie in dieser Situation von den Parteien weiter zu verfahren ist, lässt das Gesetz aber offen. Deshalb kann ein solcher Fall leicht zu Auseinandersetzungen führen.
Besonders in Verträgen mit einer längeren Laufzeit empfiehlt es sich, detaillierte Regelungen zur höheren Gewalt aufzunehmen. Eine typische Klausel enthält zunächst eine Definition für das Vorliegen höherer Gewalt und regelt dann die Rechtsfolgen für die Vertragspartner.
Bereits bei der Definition ist Wachsamkeit gefordert. Bisweilen finden sich neben den bereits beschriebenen und von der Rechtsprechung anerkannten Fällen auch solche, die eigentlich nicht als höhere Gewalt einzuordnen sind. Beispiele hierfür sind Streik im Betrieb der gehinderten Vertragspartei oder Zulieferengpässe. Hier droht die Gefahr, dass eine Vertragspartei ein eigentlich ihr zugewiesenes Risiko (beispielsweise das Beschaffungsrisiko) auf die andere Vertragspartei abzuwälzen versucht.
Auf der Rechtsfolgenseite sollte ein vorübergehendes Aussetzen der Vertragspflichten für die Dauer der höheren Gewalt bestimmt werden. Beide Seiten müssen dann die schädlichen Auswirkungen des Ereignisses selbst tragen. Eine sorgfältig erstellte Klausel enthält zusätzlich noch Informationspflichten gegenüber dem Vertragspartner sowie - in Abhängigkeit von der Dauer des Anhaltens der Störung - ein Kündigungsrecht für beide Seiten. Falls der Vertrag nicht durch Kündigung endet, wird typischerweise das Wiederaufleben der suspendierten Pflichten bestimmt, sobald die höhere Gewalt entfällt.
Regelungen zur höheren Gewalt fristen häufig ein Schattendasein neben den übrigen vertraglichen Bestimmungen. Im Rahmen einer sorgfältigen Vertragsgestaltung sollte aber eine ausgewogene Risikoverteilung auch für den unwahrscheinlichen Fall des Eintritts solcher Ereignisse vorgesehen sein.
Dr. Tilo Jung