Eine Entscheidung des Europäischen Gerichtshofs (EuGH) hat die bestehenden Grundsätze des deutschen Urlaubsrechts grundlegend geändert. Ab sofort ist zu beachten: Der Urlaub von Mitarbeitern verfällt künftig nicht mehr automatisch am Jahresende.
In zwei Entscheidungen hatte sich der EuGH mit einem bislang aus § 7 Abs. 3 Bundesurlaubsgesetz (BUrlG) folgenden Grundsatz zu beschäftigen. Nach dem Wortlaut verfallen Urlaubsansprüche, die ein Mitarbeiter nicht bis zum 31. Dezember in Anspruch genommen hat (bzw. zum 31. März des Folgejahres, sofern dringende betriebliche oder persönliche Gründe eine Übertragung auf das nächste Kalenderjahr rechtfertigen).
Den Entscheidungen des EuGH lagen zwei Klagen von ausgeschiedenen Mitarbeitern zugrunde, die beide während der Dauer ihres Beschäftigungsverhältnisses ihren Jahresurlaub nicht beantragt und nicht vollständig genommen hatten. Einer der Kläger war vor Beendigung seines Arbeitsverhältnisses sogar ausdrücklich hierzu aufgefordert worden. Nach Beendigung des Beschäftigungsverhältnisses verlangten die Kläger eine finanzielle Abgeltung der nicht genommenen Urlaubstage. Der begehrte Zahlungsanspruch hätte bei wortgetreuer Anwendung des § 7 Abs. 3 BUrlG keine Aussicht auf Erfolg gehabt. Schließlich waren die Kläger ihrerseits untätig geblieben und hatten nicht einmal einen Urlaubsantrag gestellt.
Der EuGH sprach jedoch beiden Klägern einen Zahlungsanspruch mit folgender Begründung zu: der Mitarbeiter befinde sich in einer grundsätzlich schwächeren Position, was ihn von der Einforderung seines Urlaubsanspruchs abhalten könne. Für einen Verfall des Urlaubsanspruchs bzw. – im konkreten Fall - des Urlaubsabgeltungsanspruchs, reiche es daher nicht aus, dass der Mitarbeiter den Anspruch nicht eingefordert habe. Damit kommt es künftig praktisch nicht mehr zu einem automatischen Anspruchsverfall und es können erhebliche Urlaubs- bzw. Urlaubsabgeltungsansprüche entstehen.
Möchte der Arbeitgeber künftig vermeiden, nicht genommene Urlaubstage auch nach dem 31. Dezember (oder spätestens 31. März des Folgejahres) gewähren oder abgelten zu müssen, muss er die Initiative ergreifen. Er trägt die Beweislast dafür, dass der Mitarbeiter tatsächlich in der Lage war, seinen Urlaub zu nehmen. Der Arbeitgeber muss den Arbeitnehmer faktisch dazu „zwingen“, den noch offenen Urlaub zu nehmen oder den Urlaub einseitig festlegen. Im Detail ist aber noch unklar, welche konkreten Anforderungen der Arbeitgeber dabei zu erfüllen hat. Diese Frage sowie den Zeitpunkt des endgültigen Verfalls des Urlaubsanspruchs werden die nationalen Gerichte und in letzter Instanz das Bundesarbeitsgericht klären müssen. Für Arbeitgeber, die sich auf den Verfall von Urlaubsansprüchen berufen möchten, bringen die Entscheidungen des EuGH zusätzlichen administrativen Aufwand mit sich. Zukünftig sollte der Arbeitgeber seinen Mitarbeitern jedes Jahr (!) mitteilen, wie viele Urlaubstage noch bestehen. Zudem muss er nachweisbar darauf hinweisen, dass die Urlaubstage am 31. Dezember bzw. am 31. März des Folgejahres verfallen, wenn sie bis zu diesem Zeitpunkt nicht in Anspruch genommen wurden. Diese Mitteilung hat so rechtzeitig zu erfolgen, dass eine Inanspruchnahme des Urlaubs tatsächlich noch möglich ist.
Zur Nachweisbarkeit bietet es sich an, die Mitteilung zumindest in Form einer E-Mail mit Lesebestätigung zu versenden. Verfügt der Mitarbeiter nicht über einen eigenen E-Mail-Account, sollte die Mitteilung auf anderem schriftlichen Weg erfolgen. Darüber hinaus gewinnt die arbeitsvertraglich mögliche Differenzierung zwischen gesetzlichem Mindesturlaub und freiwillig gewährtem Zusatzurlaub an Bedeutung. Der Zusatzurlaub kann anderen Regelungen unterworfen werden als der gesetzliche Mindesturlaub. Zumindest für den zusätzlich gewährten Urlaub dürfte der bisherige Verfall-Automatismus weiter vereinbart werden können, da die EuGH Entscheidungen dazu keine Aussage enthalten. Voraussetzung ist jedoch eine eindeutige und klare arbeitsvertragliche Regelung zu den verschiedenen Urlaubsarten.
Steffen Zimmermann