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Naturkatastrophen und höhere Gewalt

Im folgenden Beitrag erläutern die Autoren, welchen Einfluss Ereignisse höherer Gewalt auf Vertragsbeziehungen haben können. Weiter wird dargestellt, wie die Parteien den Risiken durch angemessene Vertragsgestaltung begegnen sollten.

1. Ausgangssituation
Die dramatischen Ereignisse in Japan im März dieses Jahres haben wieder einmal gezeigt, dass Naturkatastrophen jederzeit ausbrechen können und eine vollständig wirksame Vorsorge nicht zu treffen ist. Die japanische Wirtschaft wird noch einige Zeit unter den Folgen des Erdbebens leiden. Die Auswirkungen sind in der global vernetzten Wirtschaft nicht nur in den unmittelbar betroffenen Regionen und Unternehmen spürbar. Entlang der gesamten Wertschöpfungskette vom Hersteller über Zulieferbetriebe bis zum Endverbraucher können Störungen in den Leistungsbeziehungen auftreten. Im folgenden Beitrag wird dargestellt, welche Folgen Naturkatastrophen und andere seltene Ereignisse auf eine Vertragsbeziehung nach deutschem Recht haben.

2. Begriff der höheren Gewalt
Es findet sich keine gesetzliche Definition des Begriffs, in vereinzelten gesetzlichen Bestimmungen wird er aber vorausgesetzt um bestimmte Rechtsfolgen (z.B. Kündigungsrechte im Reiserecht) herbei zu führen. Die höchstrichterliche Rechtsprechung geht von einem Ereignis höherer Gewalt dann aus, wenn dieses "von außen kommt, nicht voraussehbar ist und auch durch äußerste vernünftigerweise zu erwartende Sorgfalt nicht abwendbar ist". In Vertragstexten wird häufig synonym dazu auch der französische Begriff "force majeure" verwendet. Wie aus der Definition deutlich wird, erfüllen nur sehr seltene Vorkommnisse diese engen Voraussetzungen. Bereits das geringste Verschulden einer Partei schließt höhere Gewalt aus. Das Ereignis darf zudem keiner der Risikosphären einer der Parteien zuzuordnen sein. Der typische Anwendungsfall sind Naturkatastrophen wie Erdbeben, Erdrutsche oder Vulkanausbrüche. Am Beispiel einer Überschwemmung wird aber deutlich, dass nicht jede Unbill der Natur auch einen Umstand höherer Gewalt darstellt: tritt die Überschwemmung in regelmäßigen Abständen in einem hochwassergefährdeten Gebiet auf, kann es im Einzelfall durchaus möglich sein, durch geeignete Maßnahmen Abhilfe zu schaffen und es liegt keine höhere Gewalt vor.

3. Rechtliche Folgen und Gestaltungsspielraum
Falls eine Partei wegen höherer Gewalt ihren Vertragspflichten nicht nachkommt, scheidet im Regelfall eine Haftung beispielsweise auf Schadensersatz aus, da sie in diesem Fall ihre mangelnde Leistungsfähigkeit nicht zu vertreten hat. Zur Frage, wie in dieser Situation von den Parteien weiter zu verfahren ist, finden sich aber keine allgemeinen gesetzlichen Regelungen. Deshalb kann ein solcher Fall leicht zu Auseinandersetzungen über die Haftung führen. Diesem Problem wird deshalb in vielen Verträgen mit einer längeren Laufzeit durch spezielle Regelungen zur höheren Gewalt begegnet.

 

 
Eine typische Klausel weist inhaltlich zumindest die folgenden Elemente auf: zunächst wird definiert, was zwischen den Vertragspartnern als ein Umstand höherer Gewalt gelten soll, anschließend werden ihre Rechtsfolgen und Pflichten detailliert geregelt.

Bereits bei der Definition ist Wachsamkeit gefordert. Bisweilen finden sich hier unter der Aufzählung typischer Fälle auch solche, die eigentlich von der Rechtsprechung nicht als höhere Gewalt anerkannt sind (z. B. Streik im Betrieb der gehinderten Vertragspartei, Zulieferengpässe und ähnliches). Hier droht die Gefahr, dass eine Vertragspartei ein eigentlich ihr zugewiesenes Risiko (z. B. Beschaffungsrisiko) auf die andere Vertragspartei abzuwälzen versucht.

Auf der Rechtsfolgenseite wird meist ein vorübergehendes Aussetzen der Vertragspflichten für die Dauer der höheren Gewalt bestimmt. Dies führt dazu, dass beide Seiten die schädlichen Wirkungen des Ereignisses selbst tragen müssen und z. B. kein Schadensersatzanspruch oder Ausgleichsanspruch besteht. Bei einer sorgfältig erstellten Klausel finden sich weiterhin noch Informationspflichten gegenüber dem Vertragspartner, sowie zumeist in Abhängigkeit von der Dauer des Anhaltens der Störung ein Kündigungsrecht für beide Seiten. Sofern der Vertrag nicht während der Dauer der höheren Gewalt beendet wird, bestimmt die vertragliche Regelung typischerweise das Wiederaufleben der durch das Ereignis suspendierten Pflichten, sobald die höhere Gewalt entfällt.

4. Zusammenfassung und Empfehlung
Ausgehend vom Beispiel Japan muss also im Fall des Ausbleibens einer Leistung unter Berufung auf eine Naturkatastrophe genau untersucht werden, ob es sich tatsächlich um einen von der Rechtsprechung anerkannten oder vertraglich speziell geregelten Fall höherer Gewalt handelt. Nicht jedes Ereignis, das eine Vertragspartei unvorbereitet trifft, befreit sie automatisch von ihren Vertragspflichten. Dies gilt umso mehr, falls das Ereignis gar nicht den Betrieb des Vertragspartners selbst sondern nur einen Dritten betrifft.

Die Erfahrung zeigt, dass die Vereinbarungen über die Folgen höherer Gewalt häufig ein Schattendasein unter den sonstigen Bestimmungen des Vertrages fristen und zumeist nicht mit der nötigen Sorgfalt gelesen und verhandelt werden. Im Rahmen der Vertragsgestaltung sollte aber unbedingt darauf geachtet werden, dass eine ausgewogene Risikoverteilung auch für den unwahrscheinlichen Eintritt solcher Ereignisse vorgesehen ist.

Dr. Tilo Jung, Uwe Pirl
adjuga Rechtsanwaltsgesellschaft mbH
Erschienen in Zukunftsmotor Metropolregion, 2011

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