VERSTEHENBERATENBEGLEITEN

 
Wie kommt eigentlich ein Vertrag zu Stande? – Teil 1

Nach deutschem Recht wird ein Vertrag geschlossen durch zwei mit Rechtsbindungswillen abgegebene Willenserklärungen, deren Inhalt korrespondiert, die alle wesentlichen Regelungen eines Vertrages enthalten und die der jeweils anderen Vertragspartei zugehen. Das Gesetz spricht von „Antrag“ und „Annahme“.

Vertragsschluss und vereinbarter Vertragsinhalt sind einfach festzustellen, wenn die Vertragsparteien gemeinsam ein einheitliches Dokument ausarbeiten und unterzeichnen. Die unternehmerische Praxis stellt sich jedoch oft anders dar: Über unterschiedliche Kommunikationsmittel (Schriftverkehr, Fax, E-Mail, Telefon) tauschen sich wechselnde Personen über den möglichen Vertragsinhalt aus. Die jeweils erhaltene Vertragsfassung wird dabei mit jedem Kommunikationsschritt weiterentwickelt und abgeändert. Wann ein Antrag und eine Annahme im juristischen Sinne vorliegen und wann und mit welchem Inhalt der Vertrag zustande gekommen ist kann daher problematisch sein. Die Willenserklärungen unterliegen grundsätzlich keinem Formerfordernis, können also sowohl mündlich als auch schriftlich oder per E-Mail abgegeben werden. Ausnahmen gelten

beispielsweise beim Grundstückskauf (notarielle Beurkundung) oder bei einer Bürgschaftserklärung (Schriftform).

Im Folgenden werden die rechtlichen Besonderheiten des Antrags anhand von Fallbeispielen dargestellt.

Fall 1: Der Lieferant bewirbt in einer Anzeige in einer Fachzeitschrift eine seiner Warengruppen „… bis zum Jahresende mit einem Rabatt von 10% auf den Listenpreis …“.

Bei Werbeaussagen handelt es sich regelmäßig nicht um einen Antrag im juristischen Sinne. Es fehlt am Rechtsbindungswillen, also am Willen des Lieferanten, tatsächlich an seine Erklärung gebunden zu sein. Die beworbene Ware könnte bei Annahme durch mehrere Käufer bereits ausverkauft sein und der Lieferant dennoch an eine Vielzahl von Verträgen gebunden werden, die er schlimmstenfalls nie erfüllen kann. Werbeaussagen sind daher nur eine Aufforderung des Lieferanten an potenzielle Käufer, ihm ein verbindliches Kauf-Angebot zu unterbreiten.

 

Fall 2: Der Käufer fragt per E-Mail bei einem Lieferanten nach Verfügbarkeit, Preis und Lieferzeit verschiedener Produkte.

Auch hier liegt mangels Rechtsbindungswillens noch kein Antrag im Rechtssinn vor. Der Käufer wünscht lediglich Informationen, die für seine Entscheidung über einen möglichen Vertragsschluss relevant sind.

Fall 3: Der Lieferant teilt die angefragten Informationen per E-Mail mit dem Zusatz „freibleibend“ mit.

Mit den Angaben „freibleibend“, „freibleibendes Angebot“ oder „unverbindliches Angebot“ weist der Erklärende darauf hin, dass er noch keine bindende Erklärung abgeben will. Mangels Rechtsbindungswillens ist auch dies kein Antrag, sondern wiederum die Aufforderung des Erklärenden an den anderen Teil, ihm ein verbindliches Angebot zu unterbreiten. Mit dem freibleibenden Angebot behält der Lieferant den Vertragsschluss in den eigenen Händen.

Fall 4: Der Käufer sendet nach Erhalt der Information in Fall 3 per Fax eine Bestellung an den Lieferanten, jedoch unter Angabe eines um 5 % geringeren Preises als zuvor vom Lieferanten mitgeteilt.

Hier ist keine Einschränkung des Rechtsbindungswillens für den Empfänger (= Lieferant) ersichtlich. Es liegt nun tatsächlich ein Antrag im juristischen Sinne vor. Dies gilt unabhängig von der Bezeichnung als „Bestellung“ oder anderen gängigen Begriffen („Auftrag“, „Offerte“ oder das englische Pendant „order“). Der tatsächliche Inhalt der Erklärung ist hinreichend bestimmt und enthält alle für den Vertrag wesentlichen Bestandteile. Bei einem Kaufvertrag sind dies die Vertragsparteien, der Kaufgegenstand und der Preis. Dass der Käufer einen um 5 % geringeren Preis als vom Lieferanten mitgeteilt angegeben hat, ist zunächst für die rechtliche Wirksamkeit seines Antrags unschädlich.

Ob ein Vertrag anschließend zu Stande kommt und welche Besonderheiten für die Annahme gelten wird in der nächsten adjuga information behandelt.

Andreas Dömkes

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