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Wissenszurechnung im Unternehmen

In vielen Fällen hängen von der Frage, ob die Parteien eines Rechtsgeschäftes Kenntnis von bestimmten Tatsachen hatten oder gehabt haben müssten, erhebliche Rechtsfolgen ab. Zum Beispiel kann ein Käufer wegen arglistiger Täuschung nach § 123 BGB einen Kaufvertrag anfechten, wenn der Verkäufer Mängel des Kaufgegenstandes trotz Kenntnis verschwiegen hat. Unternehmen, die meist als juristische Personen organisiert sind, wird dabei das Wissen ihrer jeweiligen Vertreter zugerechnet.

Das Gesetz gibt jedoch keine eindeutige Antwort auf die Frage, in welchen Fällen das innerhalb eines Unternehmens insgesamt vorhandene Wissen, das der handelnden Person nicht notwendigerweise bekannt sein muss, dem Unternehmen zugerechnet wird. Deshalb hat die Rechtsprechung Kriterien zur Wissensorganisation entwickelt, anhand derer über eine Wissenszurechnung entschieden wird. Durch diese Kriterien soll eine rechtliche Gleichstellung des Unternehmens mit natürlichen Personen in vergleichbaren Situationen erreicht werden.

Die Rechtsprechung geht davon aus, dass arbeitsteilig organisierte Unternehmen dazu verpflichtet sind, ihre internen Prozesse so zu strukturieren, dass Informationen, deren Wert für andere Personen innerhalb der Organisation erkennbar ist, auch an diese weitergegeben werden bzw. zumindest für diese zugänglich sein müssen. Diese Pflicht zur Wissensorganisation gilt für alle Informationen, die typischerweise aktenmäßig festgehalten werden. Die Speicherung ersetzt dabei im Unternehmen das Gedächtnis einer natürlichen Person.

Ob eine Information gespeichert und zugänglich gehalten werden muss, hängt davon ab, mit welcher Wahrscheinlichkeit diese später rechtlich erheblich werden kann. Gespeicherte Informationen werden dem Unternehmen jedoch nur dann zugerechnet, wenn für die handelnden Personen im konkreten Einzelfall objektiv ein Anlass bestand, das gespeicherte Wissen auch abzurufen. Diese Einschränkung führt dazu, dass in dem dargestellten Rahmen auch im Unternehmen ähnlich wie bei der natürlichen Person ein "Vergessen" möglich ist.

Unter Anwendung dieser Kriterien werden in der Praxis angemessene Ergebnisse erreicht: Beispielsweise wurde beim Weiterverkauf eines Gebrauchtwagens die Arglist des Unternehmens als Verkäufer verneint, wenn bei einem früheren Ankauf zwar ein Mangel abgefragt, jedoch in einem Einzelfall versehentlich nicht notiert wurde und nur deshalb dem Mitarbeiter im Verkauf nicht bekannt war. In einem anderen Fall hat die Rechtsprechung hingegen eine Wissenszurechnung vorgenommen, weil die fraglichen Informationen im Unternehmen vorhanden und gespeichert, für die konkret handelnden Personen aber aufgrund einer fehlerhaften Organisation nicht zugänglich waren.

Für Unternehmen ergibt sich daher die Pflicht, relevantes Wissen in einer Form zu erheben, zu speichern und zugänglich zu halten, dass die handelnden Personen im Einzelfall auf dieses Wissen zugreifen können. Sollte dies unterbleiben, nimmt die Rechtsprechung gleichwohl eine Wissenszurechnung vor.

Uwe Pirl

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